Annentag 1927
Ein nicht veröffentlichter Beitrag von Wilhelm Tack: „Annentag in Brakel“
In: Jahrbuch Kreis Höxter 1998, S. 193-198 mit Fotos von H.-D. Krus
Nun ist er da, der große Tag, auf den sich alle Bürger der alten Stadt an der Nethe, die alten und jungen, seit langem gefreut. Denn heute ist ja der Nationalfeiertag von Brakel, das Fest der heiligen Mutter Anna am ersten Sonntag im August, oder wie er in Brakel und Umgebung ganz kurz genannt wird, der Annentag.
Lange Vorbereitungen in den Brakeler Bürgerfamilien mit Einladung der Verwandten aus Istrup und anderswo, vornehmlich per Post in alle Himmelsrichtungen. Den jede echte Brakeler Familie muss auf Annentag Besuch haben wie die Paderborner auf Libori und überhaupt jeder Ort am Fest seines Kirchenpatrons, sonst ist da Fest eben nicht richtig.
Zwei Wochen vorher wurden die Häuserinnen und außen hergerichtet, Kuchen gebacken und der Festtagsbraten vorbereitet. Bei den verwandten auf dem Dorf freuten sich vor allem die Kinder, bei denen natürlich das Weltliche vor dem Kirchlichen vorging. Das verzeiht man den Kindern gern.
Endlich war der Tag gekommen und nach dem Frühstück ging die Fahrt los. Der Leiterwagen und das Pferd waren bekränzt. Kurz vor Brakel trafen sie einige ältere Frauen, die den Weg zur Mutter Anna als Wallfahrt zu Fußmachten und den Rosenkranz beteten.
Die Familie des Bauernhofes in Brakel, en sic besuchten, war gerade von der Prozession zurück, als die Gäste eintrafen und herzliche begrüßt wurden. Vor dem Mittagessen tranken die Männer einen Korn und bei Tisch wurde kräftig zugegriffen und geplaudert.
Nach dem Essen ließ man die Kinder in den Trubel vorangehen, die Männer gingen durch die Ställe und besichtigten das Vieh, während die Frauen in der Küche beim Spülen und Abtrocknen sich ihre Geheimnisse anvertrauten.
Kurz nach zwei Uhr ging man zur feierlichen Levitenvesper, beider viele Geistliche in den Chorstühlen saßen und Ministranten mit dicken Kerzen zugegen waren. Der Kirchenschweizer mit rotem Kittel und Hut und dem langen Stab war sehr interessant für die Kinder.
Nun gingen die Erwachsenen mit den Kindern noch einmal über den Annenmarkt. Die Kinder hatten einige Groschen in der Faust und dünkten sich unendlich reich. Sie kauften sich eine Pistole, eine Mundharmonika, eine Taschenuhr, einen Teddybären oder einen Luftballon. Von dem Honigkuchen wurde viel probiert.
Bei den übrigen Buden waren Tierbändiger in bunter Uniform in Aktion, eine Riesenschlange wurde gezeigt. Der billige Jakob pries das neue Mottenpulver an, nebenan war eine Nähmaschine vorgeführt. En einem Stand konnten man sich fotografieren lassen und das Bild gleich mitnehmen. An der Wahrsagerbude standen viele junge Mädchen und warteten auf Brieflein mit Zukunftsgemeinnissen. Aber dann kam das Karussell mit den Pferden. Da gab es natürlich kein Halten mehr! Immer wieder musste der Onkel bezahlen. Faszinierend war auch das große Dampfkarussell mit den fliegenden Schwänen auf dem Markplatz.
Vor der herzlichen Verabschiedung vor Heimfahrt gab es noch echte Schinkenbutterbrote zur Stärkung. Die Kinder waren noch sehr aufgeregt und erzählten von ihren Erlebnissen, bevor sie alle in süßer Ruhe im Bett lagen und selig vom schönen Annentag in Brakel träumten. .
Anmerkung
- Vorbemerkung der Redation: Von 1925-1927 gab es das Heimatbuch des Kreise Höxter von Christoph Völker herausgegeben. Von 1929 stammt ein Manuskript von Wilhelm Tack für einen weiteren Band, der aber nicht erschien. – Wilhelm Tack (1897- 1962), 1924 Priesterweihe in Paderborn war vom 1924 bis 1929 Vikar in Brakel. Über andere Stellen, darunter Altenheerse 1937 (Vertretung ), wurde er 1953 Pfarrer der Gaukirche Paderborn. Er promovierte 1937 in Freiburg) und verfasste mehrere Beiträge zur Kunstgeschichte.
In Brakel trat er bei der Kulturwoche von 1950 in Erscheinung und hielt Vorträge über die Gemälde von Johann Georg Rudolphi.