Die Jahre 1945-49 am Beispiel der Stadt Steinheim

Heft 75 (2021): 49. Mitteilungen des Kulturausschusses der Stadt Steinheim

Ein Bild mit Symbolkraft: die neuen Glocken für die Stadtkirche markieren das Ende der Übergangs- und Besatzungszeit im Jahr 1945.

Johannes Waldhoff (2021): Steinheim unter alliierten Militärregierung 1945-49.

Die Zeit um 1945 war eine sehr bewegte Zeit, nicht nur politisch und gesellschaftlich, die damaligen Lebensverhältnisse und die erfolgten Veränderungen sind heute kaum noch vorstellbar. 

Johannes Waldhoff beschreibt mehrere Aspekte jener Zeit, zu der es verständlicherweise konkrete Parallelen zu Brakel (und anderen Kleinstädten) gibt. 

Auf den 32 Seiten mit mehreren Fotos finden sich diese Kapitel:

  • Evakuierte und Behelfsheime (S. 1)
  • Polensammlungen (S. 9). Bezug ist die missliche Lage der Zwangsarbeiter nach der Befreiung 1945
  • Das Wohnungsbau-Sofortprogramm der britischen Regierung (S. 10)
  • Die Entnazifizierung im öffentlichen Dienst (S. 13)
  • Alltag in der besetzten Stadt (S. 15)
  • Die neue Demokratie 1945-49. Bezug ist der Aufbau politischer Strukturen in der Stadt. (S. 21)
  • Neue Glocken für Steinheim (S. 26)

Teil I: Evakuierte und Behelfsheime (S. 1)

Der Bau von Behelfsheimen war eine Maßnahme der NS-Regierung vom September 1943 zur Schaffung von Wohnraum für Millionen von ausgebombten Deutschen. Bei uns kamen die Menschen vorwiegend aus dem Ruhgebiet, Sie waren mit den Bombenangriffen ab 1943 obdachlos geworden. Bei dem Programm spielten die Mitwirkung der Kommune und Eigenleistungen von Bewohnern eine große Rolle. Die Behelfsheime in Steinheim hatten das Grundmaß 4.10 x 5,10 m. zwei Räume mit Ofen zum Beheizen. Kein Wasser und Strom. Fehlendes Baumaterial war die Ursache für nur wenige errichtete Häuser. Durch die Notlage wurde das Bau-Programm auch nach 1945 verlängert und ausgeweitet.

Teil II: Aus der Zeit mit den Besatzungskommandos

Die Zwangsarbeiter wurden zur Aufrechterhaltung der Produktion in Stadt und Land eingesetzt. Sie kamen aus den eroberten Gebieten und ab 1942 vorwiegend aus Polen und der Sowjetunion. Auf dem Land waren sie den Familien den landwirtschaftlichen Höfen zugeteilt, wo sie auch nach Kriegsende den Weitergang abwarteten. Doch Steinheim wurde auch Sammelstelle für Zwangsarbeiter aus dem Ruhrgebiet. Ende März 1945 wurden von dort 4.000 Personen zugewiesen, die in Scheuen und im Schützenhaus lagerten. Der „Elendszug“ zog nach einigen Tagen wieder weiter und bald wurden sie von der Front überrollt. Danach waren sie faktisch frei und schlugen sie sich teilweise in kleinen Gruppen irgendwie durch oder gelangten in ein Großlager wie in Höxter. Einige ehemaligen Zwangsarbeiter zogen nachts auf Beutezug, es kam zu Übergriffen, Plünderungen. Eine Bürgerwehr wurde eingerichtet. Im Rahmen einer Textilsammlung für die besitzlosen Arbeiter wurde für jede Stadt eine Anzahl der Teile vorgegeben. I Steinheim waren es z. B 4.000 Wolldecken, 1.000 Paar Schuhe usw.

Nun kamen auch noch Flüchtlinge nach Steinheim. Die Stadt hatte m September 1945 3.700 evakuierte Personen unterzubringen und zu versorgen – über Monate, bei vielen auch über Jahre. Viele stammt aus dem Millionenheer der Flüchtlinge aus den ostdeutschen Provinzen. Im ‚Kreisauffanglager Brakel‘ kamen von Mai bis Dezember in fünf Sonderzügen 10.000 Menschen an. Im Kreis Höxter mussten winterfeste Wohnungen bereitgestellt werden: Leer stehend Häuser, Stallgebäude, Dachböden, Kirchen, Schulen, Ämter. In Steinheim und Dörfern wurden 37 Gebäude notdürftig hergerichtet. Für den Umbau wurden Ziegelsteine und Zement konfisziert. Die Steinheimer Bauern wurden schriftlich verpflichten, Fuhren mit Baumaterial durchzuführen. Beim Kreiswirtschaftsamt wurden 50 (primitive) Öfen beantragt, nur wenige konnten geliefert werden.

Besatzungskommando in der Stadt. Die Offiziere der Besatzungseinheiten richteten ihren Aufenthalt ein. Innerhalb von 1 Stunde mussten ganze Straßenzüge geräumt werden. In Steinheim betraf es die Häuser in Bahnhofsnähe. Es dauerte Monate, teils Jahre, bis die Häuser wieder frei gegeben wurden. Ein Schau am Rande boten die Briten, die den Amerikanern bereits im Juni 1945 folgten: sie zelebrierten täglich aus dem Markplatz um 18 Uhr eine feierliche Wachablösung, wie es sich für ein königliches Eliteregiment gehörte. Eine andere Geschichte war die Strafaktion gegen Frauen von NS-Funktionären oder selbst ehemaligen NS-Führerinnen. Sie mussten die Unterkünfte für die neue Einheit der Schotten im März 1946 auf Hochglanz bringen. Berichtet wird üb er Steinheim weiter über die Ausgangssperre, die Beschlagnahmung von Radiogeräten und Fotoapparaten, aber auch Waffen, Munition und Fahnen usw. Im März 1947 fand eine letzte umfassende Suchaktion statt. 1948 wurden vier übrig gebliebene Rundbunker zerstört. Für die Fliegerwache waren auf Fabrikgrundstücken solche 2-Mann-Stehbunker errichtet, die von Mitarbeitern zu belegen waren.

Teil III Aufbau der neuen Stadtverwaltung und Hoffnung

Im April 1946 trat die revidierte Gemeindeordnung in Kraft und das Verwaltungssystem mit haupt- und ehrenamtlichen Stadtdirektoren und Landräten eingeführt. Für den Stadtrat wurden 17 Personen aus einer Liste mit 23 Bürgern ausgewählt durch den Major Lee in Höxter. Sie gehörten zu der Gruppe der Bauern, der Gewerbetreibenden und Arbeiter. 

1949 wurde ein entscheidendes Jahr. Das Grundgesetz trat am 23. Mai in Kraft und Ende Juli bekam die Steinheimer Marienkirche wieder ihre Glocken. Beide Ereignisse trugen sehr zur Festigung der jungen Republik bei und legten die Grundlage für ein Leben in Frieden und Freiheit. Die drei Glocken in Brilon herstellen zu lassen, war ein dreijähriger Kraftakt, der vielen Hoffnung gab.