1. Startseite
  2. »
  3. Mein Schulweg (I): Volksschule...

Mein Schulweg (I): Volksschule Dringenberg 1947-1951

Von Wolfgang Wiechers-Wenta

Wer in eine Zeit hineingeboren wurde, in der der Schulwege immer unsicherer wurden, für den war der abendliche Gang in den Luftschutzkeller nicht bedrohlicher als der Weg durch einen dunklen Fichtenwald. Viele Schulgebäude waren zerstört, die Zahl der Lehrer war geringer, die der Schüler jedoch größer geworden. Geregelter Unterricht und ein geordneter Schulalltag kamen eher selten vor.

Ich wurde in einer Großstadt geboren, unser Vater ist in Belgien gefallen und unser Haus in D. (Dortmund) war durch Bombentreffer zu einer Ruine geworden. Wir kamen 1944 dann in das Haus der Großeltern nach D. (Dringenberg). Aber auch dort wurden wir vom Krieg wieder eingeholt. Angst und Hunger waren tägliche Begleiter. Noch heute erinnere ich mich an die abgekämpften deutschen Soldaten, an die Zerstörungen durch Artilleriebeschuss und an getötete Nutztiere. Wir Kinder suchten Schutz in den dicken Kellergewölben der alten Burg am Ortsrand. Das bleibt bis heute prägend.

Dann kam der Tag der Einschulung 1947, etliche Mitschüler kämpften mit den Tränen. Noch heute habe ich den Geruch des frisch geölten Holzfußbodens in der Nase. Die alten Sechsitzer-Bänke mit den eingetrockneten Tintenfässchen und den tiefen Rillen mit den einschnitzen Namen von längst Verstorbenen wurden uns zugeteilt – Jungen und Mädchen streng getrennt. Einheimische, Evakuierte und auch schon einige Flüchtlingskinder, alle zusammen in einer Klasse. Die ostvertriebenen Flüchtlingskinder hatten nicht nur eine unterschiedliche Aussprache und einen wunderlichen Wortschatz, ebenso hatten sie eine sehr eigenwillige Grammatik und zu allem Übel noch ein anderes Gesangbuch! Dies sollte womöglich dem leibhaftigen Teufel Tür und Tor öffnen? Der Mehrheitsunterricht in Religion brachte zumindest ein Grundwissen in biblischer Geschichte.

Meine Mutter hatte einen sechzig Jahre alten Tornister ergattert, mit einer kleinen Schiefertafel, diese mit Schreiblinien und Rechenkästchen, und dazu zwei zu kurze Schiefergriffeln, die an der Hauswand angespitzt wurden. Schwamm und Tafellappen wurden vorsichtshalber innen aufbewahrt. Eine kleine Konservendose kam dazu – für mögliche Schulspeisungen dieser Art: dünne Tomatensuppe, durchsichtige Milch-Wasser-Brühe mit Nudeln, manchmal auch für Wasser-Kakao.

Der Schulweg war gerade mal fünfhundert Meter lang und führte durch das Dorf. Man kannte alle Bewohner und alle Kinder waren auch vertraut. Alle Leute im Dorf erzogen alle Kinder mit, die einen mehr, die anderen weniger. Dies geschah alles auf Plattdeutsch – oft recht derb und direkt. Für Bauern und Handwerker war das Oberwälder Platt ja die Umgangssprache, leider mit abnehmender Tendenz.

Etwas Erfreuliches am Rande: Mit einem Steyler Missionar (Pater Hugo Tewes) in Zentralafrika, einem Bauersohn aus dem Nachbarort und Freund des Plattdeutschen, der als Steyler Missionar über 40 Jahre im Kongo verbrachte, tauschte ich später E-Mails aus. Die Konversation auf Platt möge dem Erhalt des Plattdeutschen international gedient, den Pater erfreut und die Geheimdienste verblüfft haben.