1980: Als Doppelagent in Hainhausen
Der Journalist Michael Holzach (1947-83) wandert bei seiner Deutschlandtour von Hainhausen zur Hinnenburg. Dabei wird er zum Doppelagenten und spricht mit der Schloss-Magd der Hinnenburg über Gott und die Welt.
Im Mai 1980 hat Michael Holzach die Etappen von Holzminden nach Dortmund vor sich. Es ist schlechtes Wetter und die Nächte verbringt er mit Schlafsack und Regenponcho im Wald. Und dann passiert das Folgende.
„Von Hainhausen … sind es noch fünf Kilometer bis Brakel. Es stehen ein paar Biwaks gut getarnt in der Wiese“.
Später notiert: Es sind 10-15 Zelte mit lautem Generator, das Hauptquartier, das im Rahmen einer Gefechtsübung angegriffen werden soll. Die englischen Soldaten der Royal Army tragen schwarze Kriegsbemalung im Gesicht. Über seinen Hund Feldmann, der ihn begleitet, findet er zum Koch und „Küchenbullen“ des Camps. Von ihm hört er, dass hier 140 Mann zu versorgen sind und ein Offizier spricht von einer streng gemeinen Aktion „top secret“: Der Feind steht irgendwo im Western, also im Hinnenburger Wald.
Hainhausen und Schäferhof waren ein beliebter Standort für Manöver in der Zeit des Kalten Krieges. Im umgebenden Wald lauerte der Feind. So auch hier: Zwei Kilometer weiter trifft er dann auf „drei grüne Gestalten, gut getarnt am Waldrand, jeder bis auf die Zähne bewaffnet“. Diese Aufklärer der Gegenseite wollen von ihm genau wissen, was er dort gesehen hat. Nach seiner freimütigen Auskunft kehrt er kehrt reumütig zurück, um wieder in Hainhausen zu berichten, dass er dem Feind die Situation geschildert hat und wird so zum Doppelagenten: Dafür bekommt eine warme Mahlzeit im Offizierszelt.
Beim zweiten Mal auf dem Weg nach Bad Driburg macht er Station auf dem Schloss Hinnenburg (S. 82-83):
Vor Paderborn werden die Wälder wieder katholisch. Steinerne Gottesbildnisse und kleine gemütliche Marienkapellen steht an Wegen. Auf Lichtungen oder dort, wo „der achtbare Jüngling“ Martin Staebler, Bürgermeisterssohn, am 30. Mai 1912 von einem Baum erschlagen wurde. „Weinet nicht, Ihr christlichen Seelen“ ist unter dem Holzkreuz zu lesen, „sterben ist ja Menschenpflicht, aber bitte sprecht ein Vaterunser für mich an meiner Unglücksstelle“.
Hinweis: Hier handelt es sich nicht um das „Waldarbeiterkreuz“ nahe der Schneekapelle , ein überdachtes Steinkreuz mit Korpus auf Steinsockel . Das ist dem Waldarbeiter Johannes Bömelburg, geb. 1935 gewidmet, der im Mai 1952 hier tödlich verunglückte.
Und weiter geht die Episode mit einem Gespräch mit der „Schloss-Magd“, einer Hausangestellten, über Gott und die Welt:
„Besonders häufen sich die Kultstätten im Forst des katholischen Grafen von der Hinnenburg. Da kommt fast auf jeden Baum eine Madonna. Die alte Magd des Grafen bekreuzigt sich erst mal vor Schreck, als sie mich vor der schweren Eichentür stehen sieht. ‚Die Herrschaft ist nicht zu sprechen‘… ‚die Gräfinmutter ist doch vor einem halben Jahr gestorben‘.
Sie bringt dem Wanderer ein Glas Milch und kommt weiter ins Reden:
‚Sie kommen doch aus dem Evangelischen‘, sagt sie, mit einemmal ganz freundlich, ‚warum sind Sie dann nicht Pfarrer geworden, statt hier rumzuschwadronieren, da können Sie heiraten und Kinder kriegen und auf die Seligkeit brauchen Sie auch nicht zu verzichten …‘
Ob das überhaupt stimmt mit dem ewigen Leben oder einfach nur ein ‚Mumpitz‘ ist? Das weiß sie natürlich nicht, aber sie geht lieb er auf Nummer sicher und glaubt an den Herrn, denn wenn er hoch oben im Himmel tatsächlich thront, steht sie besser da vor dem Jüngsten Gericht, und gibt es keinen Gott, ‚mein Gott, dann fressen mich eben die Würmer‘…
‚Oder sind Sie vielleicht ein Sozi‘ … Politik und Religion gehören offensichtlich eng zusammen im Paderborner Land. Die Magd kümmert sich eigentlich gar nicht und ‚sowas‘, Politik ist ja Männersache, aber die Nazis hat sie auf Ehrenwort nicht gewählt, ‚das waren die Evangelischen aus Lippe‘. Und die Sozis will sie auch nicht, ‚die haben drüben gelernt , der Brandt in Spanien, der Wehner in Moskau‘. Strauß, findet sie, ist eine „schlauer Bengel“, der Mao hat das bestätigt, und den Schmidt will sie selbstverständlich nicht wählen, ‚da sei Gott vor‘.
Nun, was soll man davon halten? Die originellen Begenungen haben sicherlich stattgefunden. Manche Sentenzen liegen wohl zwischen Fiktion und Wirklichkeit.
Literatur, Anmerkungen
Michael Holzer (1982): Deutschland umsonst. Zu Fuß und ohne Geld durch ein Wohlstandsland. Hofmann & Campe Hamburg. Hier Kap. II, S. 77 -83, zitiert aus der 14. Auflage 2010. – Danke Johannes Markus, Bellersen, für den freundlichen Hinweis.
Das Buch wird ein Bestseller und Kultbuch. Der Autor hat zehn Schuljahre das Landschulheim am Solling (heute Internat Solling) in Holzminden besucht und dort 1968 Abitur gemacht. Es wurde ihm zur eigentlichen Heimat war. Er starb 1983 bei der Vorbereitung von Filmaufnahmen in der Emscher, als er seinen Hund aus dem Wasser retten wollte. Sein Grab ist in Holzminden im Schulpark.