Bürgermeister Jakob Müller – standhaft im schwierigen Fahrwasser 1919-1945

Jakob Müller (aus dem Raum Bitburg, Eifel, stammend) kam 1919 ins Amt, weil sein Mitkonkurrent aus Hagen abgesagt hatte. Er übernahm ein Amt, das er geradlinig und sachlich klar durch wirre Zeiten führte. Dabei gab es durchaus auch Vorfälle, die aktenkundig wurden und ihn als unbestechlichen Amtsvertreter zeigen.

So die „Personalakte des Bürgermeisters Jakob Müller (geb. 1887) in Brakel“ Nr. (A 0) 1280 im Kreisarchiv Höxter. Laufzeit 1919-1946

In der digitalen Ansicht werden diese Stichworte genannt:

v.a.: Bewerbung; Lebenslauf; Zeugnisse; Dienststrafverfügung wegen verspäteten Meldens des Absturzes einen Feinflugzeuges; Bemühung um Wiedereinsetzung als Bürgermeister 1945; Verweigerung der Vereidigung durch Bürgermeister Müller 1934; Bemühungen der NSDAP um Entfernung aus dem Amt wegen politischer Unzuverlässigkeit; Politischer Fragebogen; Versetzung in den Ruhestand; Absturz eines englischen Bomberflugzeugs ostwärts Hembsen am 17. Januar 1944; Visitenkarte des Referendars Oskar Heineberg, Brakel; Fronleichnamsprozession 1939.

Und für das Amt Brakel liegt folgende Akte vor (A 0, Nr. 818), Laufzeit 1919-1945

v.a.: Amtsbeigeordnete; abfällige Äußerung Adolf Freiherr von Spiegel, Rheder, gegen Dr. Joseph Goebbels; Amtsbürgermeister bzw. -direktor. Untersuchung gegen den Amtsbürgermeister Jakob Müller wegen dessen angeblicher kirchenfreundlicher Haltung 1939; Fronleichnamsprozession im Amt 1939; Mitverwaltung der Stadt und des Amtes Bad Driburg durch den Brakeler Amtsdirektor; Personalakte des Amtsbürgermeister bzw. -direktors Franz Strackmann in Brakel (geb. 1.5.1890); Amtsvertreter; Zusammenlegung der Verwaltung von Stadt und Amt 1935; Berufung der Stadt zum Amtsbürgermeiste; Beschwerden; Anträge

Und nun zu dem konkreten Fall der politischen Unzuverlässigkeit im Sinne der NSDAP.
Aus Akten des Kreisarchivs Höxter (M1IP): Klemens D. v. 29.10. 1934

Vom 29.10.1934 rührt die Beschwerde gegen den Bürgermeister Müller wegen seiner distanzierten Haltung zum Dritten Reich. Verfasst hat sie der PG (Pateigenosse) Klemens D., gleichzeitig SA-Mann. – Hier vorweg, das Ende der Affäre: Die Vorwürfe hielten einer Nachprüfung nicht stand, da Herr Düker keine Zeugen oder stichhaltige Unterlagen vorlegen konnte. Der Wortlaut des Briefes konnte deshalb im Kampfblatt „Westfalen-Hort“ nicht veröffentlicht werden. Der Schriftleiter setzt den Herr Regierungspräsidenten da von in Kenntnis. 

Ausgangspunkt war ein Artikel im NS-Kampfblatt „Der Stürmer“, in dem darauf hingewiesen wurde, dass noch Bürgermeister im Amt seien, die sich noch restlos „auf den Staatsgedanken der Dritten Reises umgestellt haben“. „Sie regieren lustig weiter, machen äußerlich, das was sein muss, die schwarze Seele [die katholische Haltung] ist geblieben“.

  • Er solle die Schleifen von Kränzen der Partei am Ehrenmal entfernt haben und er soll einem NS-Kampfgenossen einen Vortrag über den Wert der SPD gehalten haben. Weitere sonderbare Vorkommnisse seien:
  • „Auch im Nethegau sitzt ein solches Musterexemplar in der Person des Herrn Bürgermeisters Müller. Besagter Herr war in der Kampfzeit ein eifriger Gegner all dessen, was sich national nannte“.
  • Beim Spielen des Horst Wessel-Lieder auf einer Parteiveranstaltung 1933 tat er so, „als ginge es ihn nichts an“. Auch soll er mal geäußert haben, man wisse nicht, „wie lange Hitler an der Macht bliebe“. Und schließlich habe seine Tochter bei der Volkabstimmung im August 1934 versucht, ein anderes Mädchen zu beeinflussen, man müsse mir „Nein“ stimmen. Und so seien schließlich „rund ein Drittel Neinsager gezählt worden“. Die Tochter habe kundgetan, „was für ein Geist in dem Hause des Stadtoberhauptes herrschen“ würde.

Er selbst, ein „alter Kämpfer gestattet sich nun“ darauf hinzuweisen, dass der Bürgermeister dies Fragen beantworten müsse, „andernfalls muss eben jeder deutsche Volkgenosse seine Konsequenzen ziehen.“

Weitere Hinweise

Jakob Müller war Bürgermeister der Stadt Brakel von 1919 bis 1945. Er hat sich in der Tat nicht hinreißen lassen zu einem distanzlosen Umgang mit der Partei, er hat einen sachlichen Sprachstil gepflegt und sich an Recht und Gesetz gehalten. 1945 wurde er als „belastet“ eingestuft und musste das Amt verlassen. Müller war 1937 in die NSDAP eintreten, wie alle anderen Stadtbediensteten auch, wenn sie ihre Tätigkeit behalten wollten. Ein Kruzifix soll wie das offizielle Führerporträt im Amtszimmer seinen Platz behalten haben.

In schwieriger politischer Zeit fielen viele große Entscheidungen für die Stadt und ihre Infrastruktur : die Bautätigkeit gg. Arbeitslosigkeit wie Stadthalle, Schwimmbad, die grandiose 1100-Jahrfeier 1929, die schwierige NS- und Kriegszeit.

1933 wurde der jüdische Viehhändler Julius Lobbenberg wegen einer kritischen Äußerung von den NS-Parteileuten der SA misshandelt und schwer verletzt. Da der Bürgermeister [Jakob Müller] einen Strafantrag gestellt hatte, mussten sich die SA-Männer zwar in Berlin verantworten, doch wurde die Sache nicht weiterverfolgt. Erst 1946 wurden die Täter gerichtlich belangt und 2 von ihnen bestraft (Zitat aus Historische Kommission, Handbuch der jüd. Gemeinschaften in Westfalen 2013, S. 331).

Ein Ehrenplatz gebührt ihm auch wegen seinem persönlichen Mut, in der Rathaustür stehend dem Kommandanten des ersten US-Panzers die Stadt Brakel zu übergeben (Zitat aus Chronik Hoffmeister in Buch 1979, S. 190).

Eine „Bürgermeister-Jakob-Müller-Straße“ wäre eine schöne Anerkennung für einen aufrechten Mann in turbulenter Zeit. So bleibt es in Brakel bei dem „Kobergweg“, benannt nach seinem Vorgänger, dem Bürgermeister von 1885-1918 in Brakel.

Ein interessanter Nachruf in der Stadtchronik von 1955

In der Stadtchronik Brakel (unveröffentlicht, als Kopie-Band im Stadtarchiv, S. 319-20) stehen zwei Nachrufe für Jakob Müller. Der Unterschied: Ehrengrabstätte oder nicht, darüber gab es wohl Diskussionen. Das Ende: Er hat ein Ehrengrab nicht bei den Ehrenbürgern in der ersten Reihe oben, sondern am Außenweg unten links*. Dazu mit dekorativem Stein, dem Erzengel Michael, der mit Schwert und Schild den rechten Glauben verteidigt (nach dem Entwurf des Verstorbenen).

* Eine sog. 2er-Wahlgrabstätte im Feld C, Reihe 28, Nr. 0551. Freundliche Auskunft Stadt Brakel, Friedhofs- und Forstverwaltung, J. Bröker, März 2023

Nachtrag 1955 [Nachruf 1]
Am Dienstag, den 25 Januar 1955 starb der frühere Amtsbürgermeister Jakob Müller.
Der Verstorbene hat die Entwicklung der Stadt und des Amtes Brakel in den Jahren 1919 bis 1945 maßgebend beeinflusst. Im Mai 1884 in Sierdorf (Gindorf!), Kreis Grevenbroich geboren, erlernte er das Verwaltungsfach und kam nach Dienstleistungen an verschiedenen Orten im Jahre 1919 aus Westerholt hierher. Seit 1938, als Stadt und Amt aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung zusammengelegt wurden, war er auch Verwaltungschef. Mit großer Anteilnahme hat er den Fortschritt des Brakeler Gemeinwesens als der Stadt seiner zweiten Heimat bis zuletzt verfolgt. Was er geschaffen hat, wird weiterleben und sein Andenken verewigen. Die Stadt dankte ihm sichtbar dadurch, dass sie ihrem verdienten Bürgermeister eine Ehrengrabstätte auf dem Friedhof bereitstellte. Dorthin geleitete ihn ein großer Trauerzug aus Stadt und Amt. Man hatte den Verstorbenen für die letzte Nacht im Rathaus aufgebahrt. Noch einmal sollten ihn die alten vertrauten Räume beherbergen. Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr trugen ihn zur Stadt hinaus. Noch einmal kam die Wertschätzung des Verstorbenen durch die gesamte Bürgerschaft aus Stadt und Land offen zum Ausdruck in dem großen Gefolge zur letzten Ruhestätte. Er möge ruhen in Frieden!

Nachruf [2]
Am 25 Januar 1955 verschied nach schwerer Krankheit 
Herr Amtsbürgermeister a. D. Jakob Müller.
Von Jahre 1919 an war der Verstorbene Bürgermeister der Stadt Brakel und seit dem Jahre 1938 gleichzeitig Amtsbürgermeister des Amtes bis zu seiner Zurruhesetzung im Jahre 1945. In all diesen Jahren hat er seine ganze Schaffenskraft und sein vielseitiges Wissen in den Dienst der Stadt und des
Amtes Brakel gestellt. Dem Wohle der Gemeinde galt sein ganzes Denken und Wirken. Sein schlichtes und selbstbewusstes Wesen und seine stete Hilfsbereitschaft prägten ihn zu einer geachteten Persönlichkeit. Seinen Mitarbeitern war er ein gerechter und fürsorglicher Vorgesetzter.
Der Name des Verstorbenen wird in der Geschichte der Stadt Brakel und des Amtes Brakel in ehrenvollem Andenken fortleben.
Brakel, den 25. Januar 1955
Namens der Amtsvertretung: Dr. Werth, Amtsbürgermeister
Namens der Stadtvertretung: Dr. Froning, Bürgermeister
Namens der Stadt und Amtsverwaltung: Stackmann, Amtsdirektor
Die Beerdigung findet nicht vom Trauerhause, sondern vom Rathaus aus statt.