Missstände durch Aborte und Mistlager 1873

Brakel erstreckt sich innerhalb der engen Stadtmauer, hat (mit der Brede) 2.750 Einwohner und es gibt 1.550 Nutztiere in 400 Haushalten. Die Ställe sind über das gesamte Stadtgebiet verteilt. Aus diesen anlagen treten Abwässer, Jauche und Sickerstoffe aus und gelangen in den Untergrund oder in den öffentlichen Straßenraum.

Die Aborte (oder Abtritte, also primitive Toiletten) enden in einfachen Senkgruben, die teilweise undicht sind. Einzelne Anlagen sind immer noch auf der Straßenseite, obgleich das (bereits seit Jahrzehnten) untersagt ist.  

Gleichzeitig gab es Wellen von Ansteckungskrankheiten und Epidemien wie der Cholera, die mehr Vernunft und Hygiene im Umgang mit Verunreinigungen und Vorsorge vor Infektionen verlangen. 1868 erreicht eine lokale Cholera-Epidemie Dalhausen (50 Tote) und auch Brakel und Riesel waren betroffen (durch Besuche und Teilnahme an Beerdigungen. Vgl. Bericht Koberg 1901.

1873 wird eine Sanitätskommission gebildet, bestehend aus:

  • den beiden Ärzten, dem Apotheker (Damm) und dem Bürgermeister (Kaufmann ?) 

Die Kommission hat die Aufgabe die Gegebenheiten in Augenschein zu nehmen und sie soll die Problembereiche benennen. Im Visier der Beobachter sind insbesondere die Wohnstellen der ärmeren Bevölkerung, die „Herbergen minderen Grades“, die Massenquartiere der Saisonarbeiter und die gewerblichen Anlagen (der Schlachter usw.).

Gleichzeitig hat die Kommission ein Auge auf geeignete Isolierräume und Desinfektionsbereiche zu werfen.

Hinzu kommen die im Stadtgebiet verteilten Brunnen für Trinkwasser, die der „sorgfältigsten Beobachtung“ und einer ständigen Prüfung des Trinkwassers unterzogen werden. Bei Belastung werden die Brunnen sofort geschlossen. Ergänzung: 20 Jahre später berichtet die die Stadtchronik des Jahres 1892, dass drei Interessentenpumpen in der oberen Stadt unbrauchbar für Menschen sind.

Was zu tun ist, dazu sind die folgende Maßnahmen aufgelistet wie

  • Die Senkgruben sind in einen geruchlosen Zustand zu versetzen
  • Zwei- dreimal die Woche sind die Aborte mit Eisenvitriol (ein Schwefelsäure-Lösung) zu spülen  

Die Angelegenheit von 1873 erfährt kurz darsuf eine überraschende Wende: Den Bürgermeister werden die Sie stetigen Ordnungsrufe und Anordnungen der Bezirksregierung in Minden zu viel und er schreibt einen Bericht über die Situation mit dem Abwasser in Brakel. Die Stadt liege an einem Hang, das Wassergrabensystem führe zur Brucht hin und bei Regenwetter würden alle schädlichen Stoffe sämtlich in den kleinen Fluss abgespült. Also sei die hygienische Lage nicht wirklich dramatisch und die Frage der Reinlichkeit sei damit gut gelöst.

Ergänzung nach der Stadtchronik (bzw. Koberg 1901):

Aber die Gefahrenlage bleibt bestehen: 1892 wird eine eigene moderne Desinfektionsanstalt gebaut in der alten Ausschachtung.  

Die Bereitschaft für den Bau einer moderne Wasserversorgung der Stadt ist im Jahr 1900 nicht vorhanden. Die Initiative der Bürgermeisters wird abgelehnt. Ein Jahr später, 1901, kommt dann der Beschluss für den Bau eines Wasserwerks (gegen den ausdrücklichen Widerstand einiger Stadtverordneter), vgl. Stadtchronik, Jahr 1900 und 1901.    

Nebenbei: Von der Sanitätskommission des Jahres 1873 ist in der Stadtchronik nichts zu finden: Es gibt keinen Eintrag für dieses Jahr.   

Quelle:

– Manuskript Bernhard Junker, mündlich vorgetragen im Febr. 2024
– StA-Nr. der Akte nicht bekannt